Kaleidoskop Expressionismus – vom Aufbruch in die Moderne zur NS-Verfemung. Werke der Sammlung Gerhard Schneider

26. Juni bis 16. Oktober 2022
Eröffnung: Sa., 25. Juni. 19 Uhr

Fritz Fuhrken: Zerstörte Stadt, 1918
Aquarell, 22,5 × 22,5 cmFoto: Sasa Fuis

Die bedeutende Kunstsammlung von Gerhard Schneider ist zum zweiten Mal im Kallmann-Museum zu Gast. Die erste Ausstellung 2016 »›Entartete‹ Kunst – Verfolgung der Moderne im NS-Staat« war den Künstler*innen gewidmet, die von den Nationalsozialisten diffamiert und verfolgt wurden. »Kaleidoskop Expressionismus« erzählt nun den Weg dorthin und richtet einen erweiterten Blick auf die Vielfalt expressiver Ausdrucksformen vor 1937, die aus dem Aufbruch in die Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts hervorgegangen sind und schließlich der NS-Verfemung zum Opfer fielen. Neben bekannten Namen werden insbesondere auch zahlreiche Werke nahezu vergessener Künstler*innen gezeigt, einige davon erstmals öffentlich. Zudem wird ein umfangreicher Bestand an druckgrafischen Blättern zu sehen sein, die nachweislich in der Femeschau in München präsentiert wurden.

Sammlung Gerhard Schneider

Der Kunstsammler Dr. Gerhard Schneider widmet sich seit fast vier Jahrzehnten den als „entartet“ verfemten Künstler*Innen, die nach dem Zweiten Weltkrieg größtenteils in Vergessenheit geraten sind. Der Schwerpunkt seiner Sammlung liegt auf eben diesen unbekannten Namen, an deren Wiederentdeckung und künstlerischer Rehabilitation Schneider durch seine unermüdliche und systematische Sammeltätigkeit einen bedeutenden Anteil hat. Für seine Verdienste um die Aufarbeitung dieses Kapitels der Kunstgeschichte wurde er 2015 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt.

Ausstellung

Die Gründung der »Künstlergruppe Brücke« 1905 in Dresden markierte ein neues Sehen in der Kunst, und ein revolutionäres Denken bereicherte die Kunstgeschichte. Es trat in den Hintergrund, die Welt so abzubilden, wie sie sich real oder auch impressiv dem Auge zeigte. Stattdessen kehrten die Künstler*innen ihr subjektives Empfinden sowie ihr inneres Erleben der Welt nach außen. So können z. B. Gesichter jede Farbe annehmen: blau, gelb, grün oder rot, wenn damit etwa Wut, Zorn, Neid, Empörung oder auch Entsetzen zum Ausdruck gebracht werden sollen. Hinzu kommen nicht selten Deformationen als Mittel der Ausdruckssteigerung. Dieser Aspekt spielt in der Druckgraphik, deren vielfältige Möglichkeiten von den Expressionisten neu entdeckt und weiterentwickelt wurden, eine entscheidende Rolle. Das neue Sehen wirkte sich auf das gesamte 20. Jahrhundert aus und erzeugte über die ersten Innovationen hinaus – ab 1911 kommt beispielsweise der »Blaue Reiter« mit Anregungen ins Ungegenständliche hinzu – eine wahre Fülle immer neuer Ausdrucksaspekte, die im expressiven Gestalten angelegt sind. Neben einigen älteren Zeitgenossen (z. B. Barlach oder Rohlfs), die sich sofort affiziert fühlten, bildete sich im Abstand von kaum zehn Jahren eine jüngere Generation der Moderne heraus (Felixmüller, Dix, Davringhausen, Pankok, Rabus und viele andere), die die neuen Gestaltungsweisen als die ihnen gegebenen Möglichkeiten eines modernen Zeitempfindens umfassend nutzten. Mitten hinein in diese reiche Entfaltung platzte der Erste Weltkrieg. Es folgten die Novemberrevolution, die experimentelle Zeit der frühen Weimarer Republik und eine Hinwendung zu weiteren Formensprachen der Kunst, etwa der »Neuen Sachlichkeit« oder dem »Surrealismus«. Zu diesen oft kurzlebigen Strömungen parallel verlief eine vom originären Expressionismus inspirierte »expressive Gegenständlichkeit«, die dessen gestalterische Neuerungen mit einer gewissen Nähe zur realen Welt verband. Das neue Sehen und seine Fortschreibung in der Entwicklung eines bis dahin kaum gekannten Variantenreichtums wurden von aufgeschlossenen Zeitgenoss*innen begeistert aufgenommen. Dagegen standen die Restaurativen, die möglichst alles beim Alten belassen wollten und auf vielen Kunstakademien historischen Traditionen verhaftet blieben. Dieser Kampf durchzog die Zeit der Weimarer Republik, bis der Nationalsozialismus seinen Siegeszug antrat. Der gescheiterte Bildermaler Hitler hatte bereits in seiner Programmschrift »Mein Kampf« in dem allgemeinen Aufbruch der Moderne in der Kultur »Zerfallserscheinungen der arischen Rasse« ausgemacht, die es auszumerzen gälte. Entsprechend deklarierte er moderne Formensprachen in der Kunst als »entartet«. Davon war besonders der Expressionismus betroffen. Ab 1937 wurden in Beschlagnahmeaktionen über 20.000 Kunstwerke als »degeneriert«, die »Volksgesundheit zersetzend «, beschlagnahmt. Eine Auswahl davon wurde auf insgesamt 35 Femeschauen angeprangert, deren unrühmlicher Höhepunkt die Ausstellung »Entartete Kunst« 1937 in München war. In der Ausstellung »Kaleidoskop Expressionismus« werden diese künstlerischen und politisch-gesellschaftlichen Entwicklungen bis 1937 anhand von Werken aus der Sammlung Gerhard Schneider nachgezeichnet.

Katalog

Zur Ausstellung ist ein umfangreicher Katalog im Kettler-Verlag erschienen (464 Seiten). Sie können ihn hier bestellen: Shop des Kallmann-Museums Ismaning