
Hans Jürgen Kallmann
Das Kallmann-Museum bewahrt den umfangreichen Nachlass des Malers und Zeichners Hans Jürgen Kallmann (1908–1991). Kallmann gehörte zu den Vertretern der sogenannten „vergessenen Generation“, die in der Zwischenkriegszeit erste Erfolge als Künstler feiern konnten, deren weitere Entwicklung aber durch die Kulturpolitik der Nationalsozialisten ein jähes Ende fand. Anders als viele seiner Künstlerkollegen konnte Kallmann nach Ende des Zweiten Weltkriegs aber an seine frühere Arbeit anknüpfen und insbesondere als Porträtmaler große Erfolge feiern.
Seine entscheidende künstlerische Prägung erfuhr Kallmann, der 1908 in Wollstein / Polen geboren wurde, in Berlin, wo er von 1930 bis 1944 lebte. Er unterhielt zahlreiche Kontakte in die dortige Kunstszene und führte erste wichtige Porträts aus, darunter von Max Slevogt, Max Liebermann, Käthe Kollwitz und Max Reinhardt. 1937 wurde sein Gemälde „Hyäne in der Nacht“ in der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München gezeigt. In der Folgezeit lebte Kallmann in Berlin sowie in Tirol, wo ihm dank privater Sammler ein bescheidenes wirtschaftliches Überleben möglich war. Nach dem Krieg folgte er 1949 zunächst einem Ruf als Professor an die Kunstakademie in Caracas/Venezuela, von 1952 bis zu seinem Tod 1991 lebte er in Pullach bei München.
1908
am 20. Mai in Wollstein (damals preußische Provinz Posen, heute Polen) geboren
1919
nach Anschluss Posens an Polen Übersiedlung der Familie nach Halle an der Saale
1925-29
Studium der Medizin, daneben als Maler und Zeichner tätig. Erste Veröffentlichungen von Auftrags- und freien Arbeiten in der Saale-Zeitung und den Halleschen Nachrichten
1930
Abbruch des Medizinstudiums und Umzug nach Berlin. Meisterklasse bei Emil Orlik an den „Vereinigten Staatsschulen für freie und angewandte Kunst“, Abbruch nach einem Semester. Förderung durch Max Slevogt bis zu dessen Tod 1932. Kontakte in die Kunstszene und erste wichtige Porträtarbeiten
1931
Ausstellung in der „Juryfreien Kunstausstellung“ in Berlin mit Porträts von Max Slevogt, Max Liebermann, Max Reinhardt und Heinrich George
1934
Studienaufenthalt in der Villa Massimo in Rom
1935
Stipendium der Abraham-Lincoln-Stiftung
1936
Hessischer Staatspreis verbunden mit einem Stipendium der Akademie Kassel
1937
Das Gemälde „Hyäne in der Nacht“ wird in der Ausstellung „Entartete Kunst“ in München ausgestellt. Kallmann bleibt in Berlin, lebt jedoch isoliert. In den folgenden Jahren Ausstellungsverbot und bescheidenes wirtschaftliches Überleben durch die Unterstützung privater Sammler
1939
Ausstellung in Paris in der Galerie Charpentier. Bekanntschaft mit Pablo Picasso und Marc Chagall, die er porträtiert
1939/40
Ateliernachbar von Käthe Kollwitz in Berlin. Während des Krieges Porträts berühmter Schauspieler, darunter Elisabeth Flickenschildt, Heinrich George und Bernhard Minetti
ab 1940
Regelmäßige Aufenthalte in Tarranz / Tirol, ab 1944 dort ständiger Wohnsitz
1943
Die geplante Ausstellung in der Galerie von der Heyde in Berlin wird am Vorabend der Eröffnung durch Bombenhagel zerstört
1945
Zu Kriegsende ist nahezu das gesamte Frühwerk zerstört oder gilt als verschollen, insgesamt Verlust von 364 Ölbildern durch Kriegseinwirkung
1948
Berufung zum Professor an die Kunstakademie in Caracas/Venezuela. Staatsauftrag für ein neues venezolanisches Wappen und für ein Porträt des Staatsgründers Simon Bolivar. Kallmann bereist Südamerika und porträtiert dessen Bewohner sowie den Künstler Armando Reveron
1952
Rückkehr nach Deutschland, wo er sich in Pullach bei München niederlässt. Beginn bedeutender Porträtaufträge, darunter Theodor Heuss (1956) und Konrad Adenauer (1963). Als erster Papst beauftragt Johannes XXIII. einen protestantischen Maler mit einem Bildnis (1959). Zudem porträtiert Kallmann zahlreiche Schauspieler, Wissenschaftler, Musiker, Schriftsteller und Industrielle
1960
Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum, Köln
1973
Bayerischer Verdienstorden
ab 1974
Vizepräsident der Humboldt-Gesellschaft für Wissenschaft, Kunst und Bildung e.V.
1975/76
Ausstellung von Schauspielerbildnissen und Landschaften im Theatermuseum München
1977
Goldene Medaille der Humboldt-Gesellschaft
1980
Veröffentlichung der Autobiographie „Der verwundbare Stier“
1984
Gründung der „Prof. Hans Jürgen Kallmann-Stiftung“
1989
Baubeginn des Kallmann-Museums in Ismaning
1990
Großes Bundesverdienstkreuz
1991
am 6. März stirbt Hans Jürgen Kallmann in Pullach
1992
am 16. Juli Eröffnung des Kallmann-Museums
Die Sammlung des Kallmann-Museums umfasst Arbeiten aus allen Werkphasen Kallmanns. Bereits in dessen Frühwerk haben sich die drei wesentlichen Themen seines Schaffens – das Porträt sowie das Tier- und Landschaftsbild – herausgebildet. An den wenigen erhaltenen Bildern aus den 1930er und 1940er Jahren faszinieren das vielfach düstere Kolorit sowie die eindringlichen, intensiven atmosphärischen Werte insbesondere der Landschaftsbilder. In erdigen, gedeckten Farben hielt Kallmann mit Kohle und Pastellkreide Regentage, Feldwege in der Dämmerung und stimmungsvolle, oft mystisch anmutende Landschaften fest. Kallmann maß der Darstellung von Landschaft eine besondere Bedeutung zu. So formulierte er, „dass nichts selbstbildnishafter ist als die Darstellung einer Landschaft, in die der Maler alles hineingießt, was er empfindet. […] Erst wenn die Seelenlage des Malers die Identifikation mit dem Motiv erspürt hat, wird es zum Kunstwerk kommen.“
Nach dem Krieg lebte Kallmann von 1949-52 zunächst drei Jahre in Venezuela. Vermittelt durch südamerikanische Freunde erhielt er in Caracas eine Professur an der Akademie und wurde mit wichtigen Staatsaufträgen betraut. Er bereiste das Land und malte die Landschaft und die Menschen. Im Auftrag einer Ölfirma porträtierte er außerdem deren Angestellte, deren Bildnisse in der Firmenzeitschrift veröffentlicht wurden und an denen sich ein bis dahin unbekanntes Interesse Kallmanns an kräftiger Farbigkeit zeigt. Aber auch an den in Südamerika entstandenen Landschaftsbildern erkennt man die neuen Einflüsse, doch ist Kallmann auch hier nicht etwa an tropischen Farbräuschen interessiert, sondern eher an Zwischenbereichen des Atmosphärischen.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland entstehen vielfach buntfarbige Kompositionen, die bisweilen den Bereich der Ungegenständlichkeit berühren. Dabei folgte Kallmann nicht den künstlerisch vorherrschenden Trends, die eine ungegenständliche Kunst propagierten, sondern Kallmann blieb seiner expressiven gegenständlichen Malweise bis ins hohe Alter treu.
Seit den 1950er Jahren erlangt Hans Jürgen Kallmann vor allem als Maler von Porträts bedeutenden Zeitgenossen größere Bekantheit. Die Liste der von ihm Porträtierten liest sich wie ein Who’s Who Deutschlands. Er malte Theodor Heuss, Konrad Adenauer, Hans Knappertsbusch, Ernst Bloch und Bert Brecht, aber auch Papst Johannes XXIII. Mit seinen Porträts schuf Kallmann Bildnisse von großer Intensität und Ausdruckskraft, die durch tiefes Einfühlungsvermögen und eine feine Psychologisierung gekennzeichnet sind. Daneben aber gibt es eine Unzahl an Porträts, die keinem Auftrag entsprungen sind und an denen man Kallmanns Interesse für Menschen jenseits der gesellschaftlichen Mitte und offizieller Formen der Repräsentation erkennen kann. Patienten psychiatrischer Kliniken, kranke Menschen, Menschen auf dem Sterbebett oder, vor allem in den 1930er Jahren, vereinzelt auch Außenseiter der Gesellschaft waren wiederholt Motive Kallmanns, ebenso wie Schauspielerporträts und Szenen aus dem Theater, dem Kallmann seit seiner Jugend mit besonderem Interesse begegnete.
Kallmanns bevorzugte Maltechniken waren Ölmalerei und eine ungewöhnliche Mischtechnik aus Pastell und Temperamalerei, deren Rezept er stets geheim hielt. Als Zeichner bevorzugte Kallmann Pastellkreide, Kohle und ab den 1960er Jahren einen besonderen, lichtechten Filzstift. Beeinflusst von den deutschen Impressionisten Max Slevogt und Max Liebermann, sowie den Malern des Expressionismus, verband Kallmann eine expressive Geste mit figürlicher Darstellung. Die Lebendigkeit und Expressivität seiner Bilder steigerte Kallmann in der Ölmalerei durch seinen kraftvollen Pinselstrich und den pastosen, oft reliefartigen Farbauftrag.
Kallmann zeichnete vor Ort und hielt den frischen, ersten Eindruck seiner Beobachtungen in zahlreichen Skizzen fest. Je nach Sujet arbeitete er in der freien Natur, im Haus des zu Portraitierenden oder etwa im Zoo. Die Umsetzung in ein Ölgemälde erfolgte dann meist zuhause im Atelier.
Werke Hans Jürgen Kallmanns in Museen und öffentlichen Sammlungen
Berlin
Berlin-Museum: Elisabeth Flickenschildt (Öl) ; Ernst Barlach (Tempera/ Pastell);
Eugene Ionesco, Käthe Gold, Mathias Wieman, Bernhard Minetti (Zeichnungen)
Sammlung des Deutschen Bundestags: Theodor Heuss, Konrad Adenauer,
Eugen Gerstenmaier, Hermann Ehlers, Annemarie Renger
Erfurt
Städtisches Museum: frühe Zeichnungen Kallmanns
Frankfurt am Main
Städel-Museum: zwölf Tierzeichnungen, Porträt Paula Kallmann (alle 1934)
Frankfurter Allgemeine Zeitung: u.a. Alex Haffner, Karl Blessing,
„Der Zeitungsleser“
Ismaning
Kallmann-Museum: umfangreiche Sammlung von Porträts. Bestand des Museums: rund 70 Ölgemälde und 1200 Arbeiten auf Papier
Köln
Museum Ludwig (früher Wallraf-Richartz-Museum): Bertolt Brecht, Fritz Kortner,
Konrad Adenauer, Kardinal Frings (Öl);
Graphische Sammlung: Käthe Kollwitz, Ernst Barlach (Tempera/Pastell);
Tier- und Landschaftszeichnungen
BDI: Hans Günther Sohl, Fritz Berg, Hanns Martin Schleyer
München
Städtische Galerie im Lenbachhaus: Theodor Heuss (Öl); Marc Chagall (Kohlezeichnung);
August Everding, Therese Giehse, Peter Lühr (Pastelle)
Deutsches Theatermuseum: Bernhard Minetti, Werner Krauss, Traugott Müller
Philadelphia/USA
„Schimmelfohlen“
Rom/Italien
Museo Nazionale: Papst Johannes XXIII (Öl)
Museum Johannes XXIII: kämpfende Hengste (Kohle)
Südamerika
diverse Arbeiten mit uns unbekannten Titeln in: Venezuela, Caracas; Mexiko, Mexiko-City; Chile, Santiago de Chile
Witten
Märkisches Museum: Serie von Industriebildern (Öl); Peter Emil Noelle (Kohle)
Würzburg
Städtische Galerie: Otto Hahn, Theodor Heuss (Pastelle)